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Europa als Vorbild für mehr Baukultur und Nachhaltigkeit

4. Dezember 2020

Die Bedeutung klimagerechten Bauens und guter, nachhaltiger Architektur wird auf europäischer Ebene zunehmend erkannt, wie die Davos Declaration von 2018 sowie die aktuelle Presseerklärung der EU-Kommission zur Gründung eines „Europäischen Bauhauses“ zeigt. Beiden Erklärungen wohnt eine übergeordnete Zielsetzung zum Wohle von Gesellschaft und Umwelt inne. Währenddessen wird in Bayern der Abbau von Instrumenten und Strukturen zur Sicherung einer hohen Baukultur betrieben, der auch auf Kosten des klimagerechten Bauens geht. Dieser Entwicklung, die den derzeitigen politischen Willen der Bayerischen Staatsregierung widerspiegelt, treten wir entschieden entgegen.

So sollen beispielsweise Architektenwettbewerbe der Bayerischen Staatsbauverwaltung künftig durch funktionale Ausschreibungen ersetzt werden, mit dem einzigen – jedoch irrigen – Ziel, möglichst schnell, bequem und günstig zu bauen. Qualität und insbesondere gestalterische Qualitäten, die Suche nach der architektonisch besten Lösung im Hinblick auf städtebauliche, soziale und funktionale Kriterien, wie auch Kriterien der Nachhaltigkeit – kurz, die Schaffung von lebenswerten Räumen – wird als vernachlässigbar gehandelt. So wird ernsthaft darüber nachgedacht, mit Generalübernehmerausschreibungen die Trennung von Planen und Bauen aufzubrechen – trotz absehbarer Kostensteigerungen beim Bau. Wer vertritt dann noch die Interessen der Bauherr*innen in Verantwortung gegenüber Verbraucher*innen und Gesellschaft, geschweige denn die Nachhaltigkeit und Baukultur?
Architekt*innen sind in dem Gefüge eher unbequem. Dass Führungspositionen in der bayerischen Bauverwaltung zunehmend mit Jurist*innen statt mit Architekt*innen oder Bauingenieur*innen besetzt werden unterstreicht diesen Eindruck. Vor dem Hintergrund, dass die Bayerische Staatsbauverwaltung seit Jahrzehnten Regierungsbaumeister*innen auf höchstem Niveau ausbildet, die prädestiniert für diese Positionen sind, ist dies umso unverständlicher. Juristen haben bei der rechtssicheren Abwicklung komplizierter Verfahren und Verwaltungsvorgänge fraglos eine unverzichtbare beratende Funktion. Über die notwendige architektonische und stadtplanerische Fachkompetenz, die eine Wertschöpfung und Nachhaltigkeit über die reine Abwicklung von Projekten hinaus ermöglicht, verfügen sie jedoch nicht. „Die Herausforderungen der Zukunft können nicht durch die mechanische Umsetzung bestehender Normen gelöst werden, sondern nur durch gemeinsames Nachdenken über Sinnhaftigkeit und Sinnlichkeit im Bezug auf jede einzelne Bauaufgabe. Kreativität und Offenheit für neue Wege ist genau das, was uns freischaffende, angestellte und beamtete Architekten ausmacht. Es bedarf qualitativ hochwertiger, individueller Planungen, die baukulturelle Belange und klimagerechte Lösungen berücksichtigen“, erklärt unser Kollege Matthias Köppen, Referent für Wettbewerb und Vergabe im BDA Landesvorstand.

Hoffnung auf europäischer Ebene
Auf EU-Ebene gibt es zukunftsweisende Entwicklungen, die tatsächlich eine andere Sichtweise zeigen – auch oder gerade in Hinblick auf den Wert baukultureller, ästhetischer Belange im Sinne des Gemeinwohls.
Die Davos Declaration von 2018 und das damit verbundene Bekenntnis der europäischen Kulturminister zu einer hohen Baukultur waren ein Meilenstein auf dem Weg zu einer auch vom BDA immer wieder eingeforderten qualitätsvollen Gestaltung in Verantwortung gegenüber Gesellschaft und Umwelt. In der unlängst veröffentlichten Presseerklärung der EU-Kommission zur Gründung eines „Europäischen Bauhauses“ – als ein Baustein des „European Green Deal“ – verknüpft Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Nachhaltigkeit mit einer neuen Ästhetik und betont damit die Notwendigkeit und Wirksamkeit gestalterischer und atmosphärischer Aspekte. Das Bauhaus soll zeigen, „dass auch das Notwendige schön sein kann“. Denn Schönheit ist kein Luxus sondern ein menschliches Bedürfnis Aller.

Beide Erklärungen stellen die Bedeutung guter Architektur – für das Gemeinwohl, den Erhalt unserer Lebensgrundlagen und die Generationengerechtigkeit – in den Vordergrund und betrachten eine hohe Baukultur als Motor einer nachhaltigen Entwicklung.
Wir Architekt*innen sind bereit, an der konkreten Umsetzung dieses Zukunftsbildes mitzuwirken. „Aus ökologischer Sicht müssen wir unser gesamtes Verhalten radikal verändern“, so Stefan Krötsch, Referent für klimagerechtes Bauen im BDA Landesvorstand. „Das Bauwesen hat eine besondere Verantwortung für die Entwicklung nachhaltiger Lösungen, denn nirgends sonst werden so große Materialmengen und Energieströme umgesetzt, so viele Ressourcen verbraucht und so viel Abfall produziert. Ich hoffe, dass aus diesem Umdenken gleichzeitig gute Architektur entsteht, die unverwechselbarer Ausdruck ihrer Zeit ist.“

Der Freistaat Bayern ist verfassungsgemäß dem Gemeinwohl verpflichtet, auch durch die Förderung von Kunst und Kultur. Dieser Verantwortung ist er in den vergangenen Jahrzehnten, wie zahlreiche Bauten beispielhaft belegen, insbesondere auch als öffentlicher Bauherr gerecht geworden. Die Bayerische Staatsbauverwaltung hatte dadurch über Jahrzehnte hinweg eine Vorbildfunktion für Kommunen und Gemeinden in ganz Bayern. Diese droht aktuell verloren zu gehen, Kolleg*innen der lokalen Bauverwaltungen bekommen dies bereits zu spüren. Ohne ein staatliches Bekenntnis zu mehr Baukultur und Nachhaltigkeit wird ihr Engagement vor Ort ungleich schwerer.
Es bleibt zu hoffen, dass Bayern sich entschließt, dem europäischen Weg einer hohen Baukultur, auch im Sinne echten nachhaltigen Bauens, weiterhin zu folgen. Ein erster wichtiger Schritt wäre ein Bekenntnis zum bewährten Vergabesystem der Planungswettbewerbe sowie der strikten Trennung von Planen und Bauen zur langfristigen Qualitätssicherung, anstatt kurzsichtig auf „schnell, bequem und günstig“ zu setzen.

Lydia Haack, Landesvorsitzende BDA Bayern